MALEREI ALS PASSION
Retrospektiv/prospektiv – zum Werk von Christian Gmeiner
Glücklich die Kunst, die ohne Worte
dieses Unerhörte sagt, das die Worte tilgt.
Michel Serres
Die Malerei hat seit der Erfindung der Photographie in den späten 30er Jahren des 19. Jahrhunderts eine unerhörte Reise zurückgelegt.
In einem Jahrhundert totgesagt, das wie kaum ein anderes die Malerei revolutioniert, selbstreflexiv bis zu ihrer Verstümmelung, erweitert bis fast zu ihrer Unkenntlichkeit und gefoltert durch die Neuen Medien, vermag sie bis heute in faszinierender Weise jedwede Zeitgeistigkeit zum Verschwinden zu bringen, oft auch getarnt mit dem Deckmantel der Zeitgeistigkeit selbst.
Immer wieder gelingt es ihr, die Endlichkeit der Welt in einer Unendlichkeit als Bild aufzuheben und zu transkribieren. Die anthropologische Bildwissenschaft ist sich gewiss, dass neben verschiedenen Steinwerkzeugen die Höhlen- und Felszeichnungen und –malerei die Geburtstunde der Menschheit eine der Bilder ist. Sie sind die materialisierte Vision von Vorstellung und Welt, von Wahrnehmung und Interpretation, von Sehnsucht und Begehren. Sie waren, so Peter Handke in seinem wunderbaren verstörenden Roman „Bildverlust“ der „letzte Schatz der Menschheit.“
Seit seinem Studium der Malerei in Linz und in Wien in den 1970er und 1980er Jahren – erstaunlich genug, dies in jenen Jahren zu tun, als die Malerei angesichts der Konzeptkunst,
Minimalart und den apparativen Medien wieder einmal für tot erklärt wird – ist sie für Christian Gmeiner trotz vielfältiger Kunstprojekte eine konstante und präsente Wegbegleiterin. Mehr noch, sieht man sich die Arbeiten der letzten Jahrzehnte an: sie ist Wegmarke und Wegweiser, Leuchtturm und Kompass zugleich.
Neben der Landschaft und dem Sujet Tier ist es die menschliche Figur beziehungsweise das Portrait, welche buchstäblich den thematischen Leitfaden bilden.
Frontal oder mit abgewandtem Blick sind sie in einem existenzialistischen Sinne „geworfen“. Ihr Habitus ist tragisch, ihre Erscheinung schemenhaft-flüchtig. Wiewohl es sich um reale Personenbezüge handelt, scheinen sie diesem Realen zu entgleiten, in andere Aggregatzustände überzugehen, ohne dass Begriffe wie naturalistisch, abstrakt, impressionistisch, expressionistisch, neusachlich oder hyperreal angemessen sind. Am ehesten scheinen sie dem Gestus einer art brut verwandt zu sein, ohne ein näheres Verhältnis daraus konstruieren zu wollen.
Auf alle Fälle geht es nicht um eine Außenwelt, sondern um eine Innenwelt, um „psychische Zustände und Befindlichkeiten“, wie der Künstler dazu selbst anmerkt. In ihrer Verletztheit sind es fast embryonale Wesen und emphatisieren ein Dazwischen von Sein und Nichtsein. Weil ein schnelleres, meditativeres Malen mit einer subtileren Oberfläche möglich ist, entschied sich Gmeiner für Eitempera. Wir finden Konstruktionsprinzipien wie den „Goldenen Schnitt“, Bezüge zu Morandi, Matisse oder Picasso (vor allem, was dessen strengen Bildaufbau betrifft), planemetrische Überlegungen hinsichtlich Bildfläche und Bildtiefe oder eine damit verbundene elaborierte Auseinandersetzung mit Zentralperspektivischem. Mit großer Raffinesse fungieren die Farben als Mittel eines Verdichtungsprozesses und in ihrer Wertigkeit von hell und dunkel als kompositionelle Grundlage der soeben angesprochenen planimetrischen Gewinnung von Bildräumen.
Und dies nicht als Form(en)spiel, sondern als Substantivierung existentieller Fragestellungen. Hell/dunkel gerinnt zu symbolischen Formationen von oben und unten, von Himmel und Erde, von Sein und Nichtsein letztendlich. Nirgendwo findet sich etwas Plakatives, wie es manchmal in der so genannten Neuen Wilden Malerei der Fall ist.
Das Arbeiten in Serien und phasenweise in unterschiedlichen Formaten verweist auf weitere existentielle Implikationen. „Etwas Gesehenes länger spüren können“ ist für Christian Gmeiner ein wesentlicher Impuls für seine Malerei. In der Unmittelbarkeit von Hand und Bild gewinnt dieses Moment eine besondere Wertigkeit im Vergleich zu so genannten Neuen Medien. Jenseits eines Romantizismus geht es um die Erfahrung von Transzendenz, um das Empfinden-können von Transitorischem, ja sogar Spirituellem. Die Malerei ist für ihn eine Via Regia von Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn. Und genau darin liegt die Aktualität und Gültigkeit des Diskurses der Malerei, so wie es niemals ein „altes“ und ein „neues“ Bildmedium gibt, sondern nur eine spannende oder öde Auseinandersetzung und Verwendung. Um dies erkennen zu können, bedarf es allerdings einer genauen und freien (Bild-)Betrachtung, letztendlich eines sich Einlassenkönnens auf sich selbst als jemand anderem. Claude Lévi-Straus, einer der faszinierendsten Denker des Jahrhunderts, hat dies trotz seiner konservativen Kunstauffassung einmal vortrefflich formuliert:
„Die Kunst hat nicht bloß die Aufgabe, dem Konsumenten einen Genuss zu vermitteln….Vielmehr ist sie ein Wegweiser, ein Lehrinstrument, eine Anleitung für die Wirklichkeit gewissermaßen.“
Carl Aigner
PAINTING AS A PASSION
retrospective/prospective – on the work of Christian Gmeiner
Fortunate is art, when without words
it speaks of the unheard, which obliterates words.
Michel Serres
Since the invention of photography in the late 1830s painting has been on an unprecedented voyage. Declared dead in a century that revolutionized painting unlike any other, selfreflexively to the point of mutilation, expanded almost beyond recognition and tortured by the new media, it is to this day capable of making any and all zeitgeist disappear in a most fascinating manner, often disguised in the very cloak of zeitgeist. Time and again it succeeds in preserving and transcribing unbounded Images of the finite world.
Anthropological image science is sure that, apart from various stone tools, cave and rock paintings mark the dawn of humankind as one of images. They are the materialized Vision of imagination and of the world, of perception and interpretation, of yearning and desire.
They were the “last treasure of humankind“ as Peter Handke aptly writes in his wondrously distrubing novel “Crossing the Sierra de Gredos“ (Austrian title: “Bildverlust“).
Ever since studying painting in Linz and Vienna in the 1970s and 1980s – which is quite remarkable in itself as just at that time painting was once again declared dead because of conceptual art, minimalism and equipmentbased media – painting has been a steady and ever-present companion for Christian Gmeiner, even when he was working on one of his multifaceted art projects. And it has become even more to him, if one takes into account his works from the decades that followed: it is at the same time landmark and guidepost, lighthouse and compass. Apart from landscapes and animals, human shapes as well as Portraits are literally Christian Gmeiner‘s thematic guidelines.
They are “thrown“ in the existentialist meaning of the word, either head-on or with averted gaze. Their habitus is tragic, their appearance apparitional-elusive. Even though they express references to real people they seem to slip from reality and transition to other phases, without terms such as naturalistic, abstract, impressionist, expressionist, new-objectivist or hyperreal being appropriate. Most fittingly they seem to be related to the attitude of outsider art, without trying to construct too close a relationship. At any rate, it is not about an external world but an internal one, about “mental states and existential orientations“, as the artist himself states. They are almost embryonic beings in their vulnerability, emphasizing the in-between of being and not-being.
Christian Gmeiner decided to use egg Tempera, because a more subtle surface allows for a faster, more meditative way of painting. We can see construction principles such as the “golden ratio“, references to Morandi, Matisse or Picasso (especially concerning his rigorous Image composition), planimetric considerations about the surface as well as depth of the painting or an elaborate engagement with one-point perspectives.
Colors function as the means for a densification process and as compositional Basis for the aforementioned planimetric extraction of pictorial space through weighting with light and dark. Not in the manner of toying with shapes, but as a nominalization of existential questions. Light/dark congeals to symbolic formations of top and bottom, sky and earth,
and finally being and not-being. Nothing here is as forceful and simple as it is sometimes in paintings of the so called Junge Wilde style. Working on series and intermittently with different sizes, highlights other existential implications as well. “To feel something seen longer“ is an essential impulse for Christian Gmeiner‘s paintings. Through the immediacy of Hand and image this impulse gains a special priority in comparison to the new media. It is about the experience of transcending, about being able to feel things in transitions, even spiritual things, beyond any romanticism.
Painting is to Christian Gmeiner a Via Regia for sense of reality and possibilities. And this is exactly where the relevance and validity of the discourse about painting lies, just as there will never be an “old“ and a “new“ medium for painting, only an exciting or bleak Engagement and application. To recognize this it is necessary to study (paintings) in a precise and free manner, and ultimately an involvement with oneself as someone else.
As Claude Lévi-Straus, one of the most fascinating thinkers of the 20th century, most admirably put it, despite his conservative opinions on art: “Art does not only have the duty to mediate pleasure to the consumer…rather it is a guidepost, a tool for learning, and in a certain sense even a tutorial for reality.“
Carl Aigner